Der Bogen

Scott Wallace

 

 

Die Anfänge des Streichbogens liegen noch im Dunkeln (1) ; die frühesten literarischen und bildlichen Quellen deuten auf eine mögliche zentralasiatische Herkunft hin (zumindest was die Neuzeit betrifft). Von dort aus gelangte der Bogen allmählich nach China und Indien, aber auch nach Westen, wo er in Arabien von al-Fârâbî (um 870-950) beschrieben wurde. Um die Jahrtausendwende belegen zahlreiche Abbildungen die weite Verbreitung des Bogenspiels im byzantinischen – wie auch im arabischen Kulturkreis. Die erste europäische Darstellung stammt aus Katalonien (um 920-930). Offenbar brachten die arabischen Eroberer den Bogen nach Spanien (2). Sein Erfolg war groß: Schon gegen 1100 war das Streichinstrumentenspiel überall in Westeuropa zu hören (3).

Die frühen Bögen waren noch von sehr variabler Gestalt: Man sieht sowohl fast halbkreisförmige, jagdbogenähnliche wie auch annähernd schnurgerade Stangen. Die Haarlänge kann von ungefähr 20-30 cm bis zu einem Meter betragen. Schon im Mittelalter finden wir Oberhand- (wie bei der Geige) und Unterhandgriffweise (wie bei der Viola da Gamba), meistens schon in Verbindung mit da braccio- (am Arm) bzw. da gamba-Spielweise (zwischen den Beinen). Oft diente ein Finger oder der Daumen (4) dazu, die Haare zu straffen. Erst im 13.Jhdt. erscheint ein differenzierter Frosch: Ein anfänglich fixer Klotz oder Ast der die Bespannung von der Stange abhebt.

Die spätere Geschichte des Bogens in Europa (5) ist gekennzeichnet durch ein allmähliches Ausmerzen der Extremformen, sowie eine Mechanisierung des Haarespannens. Die unhandlichen stark konvexen Stangen verschwanden und man entwickelte verschiedene Vorrichtungen um die Haare zu spannen: den Steckfrosch, den man aus- und einstecken kann; Cremaillère-Frosch (Zahnstangenfrosch), den man mittels einer Drahtschleife stufenweise spannen kann; und, gegen Ende des 17.Jhdts., den Schraubfrosch, der sich letztendlich durchsetzte.

Im 17. und 18.Jtdt. erreichte der Bogen seinen Höhepunkt an Schönheit und Eleganz: Die Stangen, häufig aus Schlangenholz (6), wurden oft sorgfältig kanneliert, die Köpfe sind schwungvoll geformt, und die Vielfalt der Formen von Frosch und Beinchen (7) spiegelt eine Phantasie wider, die im 19.Jhdt. unter dem Beilkopf des Tourte-Bogens zerschmettert wurde. Länge und Gewicht waren noch sehr variabel; man kann nicht immer eindeutig sagen, ob ein überlieferter Barockbogen für Geige oder Bratsche gedacht war. Allmählich (aber keineswegs einheitlich, und mit vielen regionalen Varianten) fing man an, die (entspannte) Stange mehr oder weniger konkav zu biegen, um die Spannung der Haare zu erhöhen. Diese Innovation macht eine Erhöhung des Kopfes notwendig, um eine Reibung der Saite an der Bogenstange zu vermeiden. Diese Entwicklung sieht man eindeutig, wenn man die Reihenfolge von flüchtig angedeuteten Köpfen bei Praetorius (1619) über Corelli-Bögen (um1700) bis zum Cramerkopf (um 1750) betrachtet. Für die Viola da Gamba baute man oft sehr lange Bögen (über 80 cm), wie z.B. auf einem Portrait von Marin Marais, dem berühmten französischen Komponisten und Gambisten, zu sehen ist.

Damals wie jetzt entstehen die besten Bögen aus einer Zusammenarbeit von Musiker und Bogenmacher. Das penible Kopieren alter Bögen dient als Ausgangspunkt; da aber jedes Stück Holz und jeder Musiker anders sind, muß der Instrumentenbauer flexibel sein und sowohl auf die speziellen Eigenschaften des Holzes als auch auf die individuellen Bedürfnisse des Musikers eingehen können.

1) Eine gründliche Auswertung der Belege findet man in Bachmann, Werner Die Anfänge des Streichinstrumentenspiels, Leipzig 1964.
2) Psalterium, Laute, Schalmei, Orgel und Drehleier sind ebenfalls morgenländischen Ursprungs.
3) Zunächst hauptsächlich auf schon vorhandenen umfunktionierten Zupfinstrumenten.
4) Diese Spieltechnik lebte im französischen Tanzbogen des Barock weiter.
5) Vor allem in Boyden, David The History of Violinplaying London 1965 veranschaulicht.
6) machaerium schomburgkii, ein südamerikanisches Hartholz.
7) z.B. Frösche in Form einer Brücke, einer Laute, eines Schuhes.