Die Formen der Violen da gamba

Anders als bei der Viola da braccio-Familie (Violinfamilie), die übrigens nicht viel später das Licht der Welt erblickte aber sehr bald eine Normierung in der Konstruktion erfuhr, zeichnet sich die Entwicklung der Violen da gamba durch eine Mannigfaltigkeit der Formen und Maße aus, die jeglicher Katalogisierung oder näherer Zuordnung trotzt! Glücklicherweise sind sechs der gebräuchlichsten Formen in der Sammlung durch mindestens ein Exemplar vertreten, so daß sich die Gelegenheit des Vergleichens bietet.

 

1. Klassische englische Form

Die wesentlichen Merkmale dieses sehr wichtigen und häufigen Typus sind der elegante Umriß, vor allem bei den Violen von John Rose, mit abfallenden Schultern, ohne Ecken und ohne Überhang am Rande. Die Wölbung, die oft durch Biegen der erhitzten Decke* (anstatt des Ausschneidens des Holzes aus einem Brett) entstand, ist immer flach, ohne Hohlkehle, die Deckenstärke ist gleichmäßig gehalten. Bei den meisten englischen Instrumenten sind die Zargen sehr hoch, die Hälse sehr lang (was eine extrem lange Saitenmensur bedeutet). Englische Violen da gamba haben stets sechs Saiten und fast immer C-Löcher.

* Diese Methode erlaubt – wegen der Beschaffenheit der ungebrochenen Holzstruktur – die Herstellung äußerst dünner Decken bei gleicher Stabilität.

William Turner (London, 1647)
William Turner (London, 1656)
William Turner (London, ca. 1650)
Henry Jaye (London, ca. 1620)
William Turner (London, ca. 1650)
Edward Lewis (London, 1687)
Thomas Collingwood (London, 1680)
Three bass viols after John Rose (1580)

2. Geigenform aber mit spitzen Ecken

Dieser Typus stellt eine der frühesten Formen dar, die nicht selten in der italienischen und flämischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts anzutreffen ist. Der runde Umriß, die gerade angesetzten (90 Grad zum Halse) Schultern, die markant vorspringenden Ecken, die niedrigen Zargen deuten auf den italienischen Einfluß hin, obwohl unser Exemplar aus England kommt.

Richard Bowcleffe (London, 1598)

3. Ganassi-Form

Im Traktat von Ganassi ist dieser Typus abgebildet. Runder Umriß, gerade angesetzte Schulter, überhängender Rand, niedrige Zargen, Ecken. Der Boden kann flach oder leicht gewölbt (bei Ganassi nicht sichtbar). Es überrascht nicht, daß sich diese Form auch für die da braccio Haltung eignet.
(Siehe Viola da gamba nach Ganassi)

Anon., (Spain or Italy, in Ganassi-Form)

4. Violinform

In jeder Einzelheit die gleiche Konstruktion wie ein italienisches Cello, aber mit sechs Saiten und mit Bünden versehen. Die wichtigsten Geigenbauzentren Italiens – Cremona, Brescia, Venedig, Mailand, Bologna, Florenz – produzierten während des 17. und des 18. Jahrhunderts eine große Zahl von Violen da gamba in dieser Form, die inzwischen fast ausnahmslos von einem gemeinsamen Schicksal ereilt worden sind: sie erlitten einen Umbau zum Violoncello.

Giovanni Paolo Maggini (Brescia, c.1600)
Gianbattista Grancino (Milano, 1697)

5. Die Süddeutschen Formen

Etwas weniger abfallende Schulter und längere Mittelbügel lassen den Oberkörper “höher” erscheinen. In der Regel haben diese Violen eine hohe Wölbung mit ausgeprägter Hohlkehle, wie dies bei der Konstruktion der Violine üblich ist. Nebst den gewöhnlichen Formen der Schallöcher ( F-Form oder C-Form ) trifft man oft Löcher in der Art von Flammen oder Schlangen, manchmal sehr eng am Rande angebracht. Die Zargen sind gewöhnlich niedriger als bei den englischen und französischen Modellen. Die Saitenzahl kann fünf oder sechs sein. Der Boden durfte entweder flach oder gewölbt sein.

Anon. 17th Century (München)
Leonhardt Maussiell (Nürnberg 1720)
Johann Andreas Kämbl (München, 1739)
Matthias Joannes Koldiz (Munich, 17?6)
Nikolaus Leidolff (Vienna, 1695)
Michael Albanus (Graz, 1706)
Joachim Tielke (Hamburg, 1683)
Johann Georg Seelos (Linz, 1691)
Jakob Stainer (Absam, 1671)

6. Blattform (Festoon, convoluted)

Obwohl eine große Anzahl Violen mit diesem oder ähnlichem kurvenfrohen Umriß aus dem süddeutschen Raum stammt, sind diese Formen nicht selten sowohl in England wie auch (zumindest in der Malerei) in Italien anzutreffen. In allen anderen Einzelheiten ähneln sie Nr. 5. Vergleichen Sie mit der Violine von Johann Anton Gedler.

Anonymous festooned viol I (c. 1730)
Anonymous festooned viol II (c. 1730)

Johann Anton Gedler (Renaissance outline)

 

Über die Violen da gamba von Stradivarius

Das älteste uns bekannte Stradivari-Instrument der Cello-Familie stammt aus dem Jahre 1667, als der Meister 23 Jahre alt war. Obwohl es wesentlich verändert wurde, ist es ein sehr interessantes Instrument. Man kann erkennen, daß Stradivari die Hauptmerkmale von Viola da gamba und Cello zu vereinen suchte, nämlich einerseits den flachen Boden mit dem abgekanteten Oberteil, andererseits die Form, F-Löcher und Maße der Cello-Familie. Wir vermuten, daß dieses Instrument wie eine Viola da gamba besaitet war, allerdings ist der originale Kopf verloren, so kann man es nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen.

Es ist auch eine Viola da gamba bekannt, genauer gesagt, ein Instrument, das urprünglich eine Viola da gamba war. Das Instrument wurde vergrößert, und es wurde sogar ein Wappen aufgemalt, um die Nahtstellen mit dem angesetzten Holz zu vertuschen. Es kann sich möglicherweise um die Viola da gamba handeln, die von Stradivari 1684 für die Contessina Cristina Visconti gebaut wurde. Die Schablonen befinden sich in der Dalla Valle-Sammlung.

Ebenfalls von 1684 stammt ein Cello, das dem Cellisten Leo Stern gehörte. Seine Maße sind noch immer extrem groß, und ein fünftes Loch im Wirbelkasten weist klar darauf hin, daß es sich urprünglich um ein fünfsaitiges Instrument handelte. Obwohl es in jeder Hinsicht wie ein Cello gebaut ist, war es eindeutig als Baßgambe mit sehr großer Mensur geplant.

(Aus: W.H. Hill, “Antonio Stradivari, his life and work” 1902)

In der Werkstatt von Stradivarius befinden sich die Schablonen und Formen für nicht weniger als fünf verschiedene Modelle, darunter auch eine “viola alla francesa a sette corde”, wonach diese Instrumente hergestellt worden sind. Heute sind sie als Violoncelli in den Händen internationaler Solisten zu bewundern. Keine ist heutzutage in der ursprünglichen Form als Viola da gamba erhalten.

Stradivarius baute offensichtlich die folgenden Modelle:

  • Eine sehr große, fünfsaitige Viola da gamba mit Ecken, flachem, abgeknicktem oder
  • gewölbten Boden
  • Eine siebensaitige, französische Viola da gamba nach der Form B für Violoncello. Das Aussehen kaum von einem Violoncello zu unterscheiden; lediglich die Anzahl der Saiten (natürlich auch Halsbreite, Kopflänge für die sieben Wirbel!)
  • Eine sechsaitige Viola da gamba mit entweder flachem oder gewölbten Boden
  • Sechssaitige Diskant Violen da gamba mit Ecken, gewölbtem oder flachem Boden.
  • Sechssaitige Diskant Violen da gamba ohne Ecken “Keines dieser Instrumente befindet sich jetzt noch im originalen Zustand, weil sie alle zu Violinen umgebaut worden sind”. (Sacconi)